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Das erste Wiener Kino

NEUE KINO-RUNDSCHAU
OFFIZIELLES ORGAN DES REICHSVERBANDES DER KINEMATOGRAPHENBESITZER IN OESTERREICH

Nr.8, WIEN, 28. APRIL 1917.

Von U.Tartaruga

Die unzähligen modernen Kinotheater, welche der Bevölkerung zum Bedürfnis geworden sind, werden als eine Errungenschaft der allerneuesten Zeit betrachtet. In gewisser Beziehung trifft dies auch zu, da es erst die Erfindung der besonders lichtempfindlichen photographischen Platten möglich gemacht hat, Filme zu erzeugen. Der Gedanke der lebenden Bilder selbst ist aber durchaus nicht neu, und soweit wir lokalgeschichtliche Aufzeichnungen besitzen, gebührt Johann Daum das Verdienst; die Idee in unserer Vaterstadt zum erstenmal ins Praktische umgesetzt zu haben.

Daum führte nämlich im Jahre 1835 im Seitzerkeller eine “Bildergalerie” ein, worunter er keine Ausstellung von Kunstgemälden, sondern transparente Wandelbilder verstand, welche hauptsächlich der Wiedergabe von Tagesereignissen dienen sollten. Die strenge Zensur, welche damals eher Zoten als politische Witze und Erörterungen zuließ, machte ihm zwar so viele Striche, daß seine “Bildergalerie” nicht zu dem werden konnte, was ihn eigentlich vorschwebte. Trotzdem drängten sich aber die Wiener in hellen Scharen in sein Etablissement, um die von ersten Künstlern bildlich dargestellten Tagesgeschehnisse zu besichtigen. Daum trug den Polizeiverhältnissen eben notgedrungenerweise insoferne Rechnung, als er in seinem “Kino” auch interessante Liebesgeschichten und aktuelle Vorstadtromane zur Darstellung brachte. Der Mann war überhaupt ein äußerst schöpferisches Genie. Die “Bildergalerie” bildete nur einen Bruchteil der zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die er dem Publikum in dem erwähnten uralten Lokal bot, welches er im Jahre 1833 zum “Elysium” umgewandelt hatte.

Der alte Seitzerkeller, der sich in jenem altertümlichen Gebäude zwischen der Seitzergasse und den Tuchlauben befand, wo sich später der bekannte Durchgang “Bazar” erhob, wurde schon im Jahre 1313 gegründet. Den Höhepunkt erreichte der Keller aber, wie er erwähnt, unter Daum, der ihn zu einem Belustigungsort für alle Schichten der Bevölkerung umwandelte. Der Tapezierermeister Eckardt schuf damit nach besondern Plänen ein Werk, welches das größte Aufsehen erregte. Der Eröffnungstag brachte ganz Wien auf die Beine. Die Praterbuden waren eben nichts im Vergleiche zu den Sehenswürdigkeiten, die man dort zu Gesichte bekam. Das Raffinement der Ausstattung ging so weit, daß die vom Tanze erhitzten Paare sogar einen eigenen Abkühlungsraum vorfanden, in welchem mechanisch bewegte Fächer die Luft reinigten.

Kein Wunder, daß in Wien bedeutende Aufregung entstand, als das “Elysium” im Jahre 1838 mit seinem Kino wegen Demolierung des “Seitzerhofes” geschlossen werden sollte. Johann Daum, der durch diese Unterbrechung seines weltberühmten Betriebes einen Riesenschaden erlitt, versprach, das den Wienern so lieb gewordene Vergnügungsetablissement in einem anderen Gebäude neu entstehen zu lassen, und hielt auch seine Zusage. Er mietete die kolossalen Kellerräume im St.Annengebäude, dem damaligen Sitze der Akademie der bildenden Künste, und betraute wieder erste Kräfte mit den Adaptierungsarbeiten. Der Ort war günstig gewählt, denn auch der bisherige “Annakeller” (“Tunnel” genannt) war ein beliebtes Wirtshaus bisher gewesen.

Das wiederentstandene “Elysium” wurde am Faschingsonntag, d.i. am 1.März 1840, eröffnet und wies eine interessante Neuerung auf. Es war nämlich in vier “Weltteile” eingeteilt. Wir entnehmen einer alten chronik folgende Schilderung: “Der Ein- oder eigentlich Abgang ins “Elysium” führt von der Johannesgasse aus. In der Tiefe angelangt, betritt man zuerst Asien, die Wiege der Menschheit, nachdem man früher eine von Elefanten getragene Halle durchschritten. Asien selbst wird durch einen Nabobsaal charakterisiert. Hier werden mimisch-plastische Darstellungen, Jongleurstücke, gymnastische Uebungen gezeigt, hier sind hübsche Chinesinnen zu sehen, Affen und bunte Papageienschwingen und schaukeln sich auf den Zweigen der Bäume. Aus der Kredenz dieser Abteilung führt ein Gang nach Europa, welches in das “gemütliche” und das “elegante” Europa zerfällt. Das “gemütliche” wird durch eine Scheuer, in welcher die Zither ertönt und dralle Tirolerinnen ihre Dudler und Jodler loslassen, repräsentiert. Das „elegante“ Europa besteht aus einem großen Tanzsaal. Auf einer Treppe gelangt man von hier nach Afrika, durch einen egyptischen Saal repräsentiert. Die Wandgemälde, eine Seefahrt und einen Aufenthalt im Harem darstellnd, sind von Schilchers Meisterhand ausgeführt. Und nun erst der „wirkliche“, das heißt, der durch Statisten und Sta­tistinnen dargestellte, über der

Das Neue Elysium in der Johannesgasse in Wien
cirka 1840 (Wikimedia Commons)

Kre­denz hinter einer großen Glaswand angebrachte „Harem“, welch ein Magnet für die Männerwelt! Die Repräsentantinnen der Seraildamen, für welche Daum eine Anzahl wirklich hübscher Mädchen zu gewinnen wußte, sind übrigenis im vollsten Sinne des Wortes zum „Anschauen“ da, und es dürfen über strengen Auf­trag der Polizei von Seiten dieser Holden keinerlei Anknüpfungs­punkte mit dem männlichen Teile des Publikums gesucht werden. Ein Tschibul rauchender, Sorbet schlürfender Pascha bekundet von Zeit zu Zeit seine Liebe zu einer der Favo­ritinnen durch eine (nur markierte) Umarmung. Gegenüber dem Serail ist eine kleine Bühne angebracht, auf welcher Pantomimen, lebende Bilder (also wieder das so beliebt gewordene „Kino“ Altwiens) Kraftdarstellungen usw.in bunter Abwechslung vorgeführt werden…

Dann wird Amerika, eine An­zahl von Spiegeisälen, eine hölzerne Eisenbahn, eine Tropfsteingrotte, ein Vulkan, bepflanzte Hügel, eine Hütte mit „Urbewohnern“ etc. etc. ge­schildert. Ja, es waren neben Im­provisatoren, „Eremiten“, Taschen­spielern und dgl. sogar zugrunde gegangene Hausherrn vom „Bril­lantengrund“ engagiert. „Höcher” ging‘s schon wirklich nimmer ….

Johann Daum, der auch Besitzer des Kaffeehauses auf dem Kohlmarkte und des Hotels Am Peter war, hatte aber zu große Gelder in­vestiert und geriet in Wucherhände. Vor seinem finanziellen Zusammen­bruche raffte ihn am 12. Dezember 1854 die Cholera weg. Bald darauf wurden die Jesuiten Eigentümer des St. Annengebäudes und sperrten das „Elysium“ am 8. März 1859.

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